Unter dem Titel „Benvenuti in München“ wurde am 24. Januar 2020 im Muffatwerk Ampere über die Integration in München, Palermo und anderswo diskutiert. Die erfahrene BR-Moderatorin Jutta Prediger moderierte das brisante Thema in großer Runde locker und kenntnisreich. Orlando sprach auf Deutsch, und Carmen Romano von der Petra Kelly-Stiftung an seiner Seite übersetzte ihm die Beiträge der anderen Gäste, wenn er Redepause hatte.
„In Palermo haben wir keine Migranten!“ Diese Aussage vom Bürgermeister Palermos Leoluca Orlando überraschte erst einmal. Dann klärt der vor Energie sprühende Sizilianer die Zuhörer auf: „Jeder, der in meiner Stadt leben möchte, bekommt eine Wohnung und ist damit Palermitaner“. Er lädt auch jeden von uns ein und verspricht, uns ebenfalls umgehend zu Palermitanern zu machen. Heiteres Gelächter im dicht gefüllten Saal. Orlando wird aufgrund seiner Aufgeschlossenheit gegenüber ausländischen Bewohnern auch „Bürgermeister der Kulturen“ genannt.
Orlando hat Palermo von der Mafia befreit und laut eigener Aussage Migranten damit den Zugang zu seiner Stadt verschafft. Weil alle Wohnung und Papiere bekämen, seien sie „sichtbar“ geworden. Niemand müsse sich verstecken und alle dürften arbeiten. Zu schön, um wahr zu sein? Sofort denkt jeder daran, wie schwer es Geflüchteten hierzulande gemacht wird. Wie es mit der Situation der Geflüchteten im Hinterland Palermos aussieht, fragt allerdings niemand.
Auf ihn hatten sich Viele ganz besonders gefreut: auf den italienischen Liedermacher Pippo Pollina. Auch wenn er in erster Linie als Diskussionspartner eingeladen war, widmete er den Zuhörern eingangs doch eines seiner Lieder. Pollina hatte sich nach dem Abbruch seines Jura-Studiums zwar ganz der Musik gewidmet, aber er ist immer politisch und sozialkritsch geblieben, was sich auch in allen seinen Liedern widerspiegelt. Mit Leoluca Orlando ist er seit mehr als zwanzig Jahren gut bekannt, zu Studienzeiten war Orlando sein Professor.
Pollina hält die Europäische Union für eine gute Idee, plädiert aber für einen besseren sozialen und territorialen Zusammenhalt.
Zur Diskussionsrunde gesellte sich als Überraschungsgast Claus-Peter Reisch, der Kapitän des Seenot-Rettungsschiffs LIFELINE dazu und berichtete von den Schwierigkeiten, die Italien ihm bereitete, als ihm das Anlanden seines Schiffes mit geretteten Geflüchteten längere Zeit verwehrt blieb. Leoluca Orlando versprach ihm juristische Unterstützung bei den Verhandlungen um die geforderten drastischen Strafzahlungen durch den italienischen Staat.
Auf dem Podium kamen nach und nach weitere Gäste hinzu, die mit ihren Schilderungen aus dem Alltag ihrer jeweiligen Migrationsarbeit berichteten. Allen voran die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Stadtrat und OB Kandidatin Katrin Habenschaden, die über das Bemühen um besseren Wohnraum, besonders für unbegleitete Jugendliche, sprach. Sehr geworben hat sie auch für ein Welcome Center in München, wo sich alle neu angekommenen Migrant*nnen über ihre schulischen und beruflichen Möglichkeiten informieren können.
Der Schulleiter der Städt. Berufsschule zur Berufsintegration Eric Fincks berichtete aus dem Schulalltag, der ihn tagtäglich vor neue Herausforderungen stelle, obwohl er seinen Beruf sehr liebe. Von einer Berufsintegration könne schon mal gar nicht die Rede sein, weil die Schule gar keine Berufsschule sei, sondern Migrant*innen hier erst einmal die deutsche Sprache, Mathematik und Ethik lernen müssten. Die Anzahl der Schüler*innen sei groß, und die Vorbildung von hoch über mittel bis Analphabetismus. Und das alles in einer Klasse. Er zeigte Verständnis für die Schwierigkeiten bei diesen Menschen, die in zwei Jahren mindestens einen qualifizierten deutschen Schulabschluss schaffen sollen. Kopfzerbrechen bereiteten darüber hinaus die bürokratischen Hürden bei der Altersbegrenzung von Geflüchteten, so der Schulleiter. Ab 22 oder 25 keine Berufsintegration mehr? Keine Seltenheit!
In die Runde kam noch Adam Yamani vom Münchner Flüchtlingsrat und schilderte die Projektarbeit von „Gemeinsam Aktiv & Solidarity City“, mit dem Ziel, über ein zivilgesellschaftliches Netzwerk die Aufmerksamkeit der Stadtpolitik darauf zu richten, gerechte Teilhabe in allen Bereichen zu erreichen. D.h. Daseinsgrundversorgung aller Bewohner*innen einer Stadt, unabhängig von Aufenthaltsstatus, Herkunft und monetären Möglichkeiten. Und zu guter Letzt erzählte Paulo Cesar dos Santos Conceição von Morgen e.V. über samo.fa, das Projekt, das zur Stärkung der Aktiven in der Flüchtlingsarbeit von mehr als 80 Migrantenorganisationen ins Leben gerufen wurde.
Von links nach rechts: Pippo Pollina, Claus-Peter Reisch, Eric Fincks, Katrin Habenschaden, Adam Yamani, Paulo Cesar dos Santos Conceição, Leoluca Orlando , Jutta Prediger
Gesa Tiedemann von der Petra-Kelly-Stiftung begrüßte die Gäste und betonte, dass das ungewöhnliche Format der Veranstaltung (Musik, viele Beiträge und Gespräche) dem Ziel dienen sollte, zu klären, wie es in München um die Integration bestellt ist und wie wir von anderen Städten wie z.B. Palermo lernen können. Kolibri dankt sehr herzlich der Petra Kelly-Stifung , die den großartigen Abend ermöglicht hat.
Anni Kammerlander von Refugio trug die dramatische Fluchtgeschichte einer schwerst misshandelten Westafrikanerin vor, die heute wegen ihres Traumas bei Refugio behandelt wird.
Lesen Sie hier die ganze Geschichte:
Refugio hilft schwer misshandelter Westafrikanerin
Den Gästen der Veranstaltung dankt Kolbri für die großzügigen Spenden, mit denen Projekte für die Hilfe von Migrant*innen und Geflüchteten gefördert werden.
Fotos: Gisela Osselmann und Eleonore Peters, Kolibri
Text: Eleonore Peters, Kolibri