Ein brisantes und aktuelles Thema – brilliant erörtert von Professor Andreas Wirsching
Gebannt lauschten die Zuhörer im ausverkauften Gemeindesaal der Schwabinger Kreuzkirche den Ausführungen eines der besten Kenner der deutschen Geschichte. Professor Andreas Wirsching,
Direktor des Instituts für Zeitgeschichte München-Berlin, erörterte die Frage, die sich heute angesichts der Turbulenzen in den Vereinigten Staaten, des Rechtsrucks in vielen europäischen Ländern und der besorgniserregenden Entwicklungen in Deutschland viele Menschen stellen: „Wie wehrhaft ist unsere Demokratie?“
Parallelen zur Weimarer Republik?
Wirsching, seit 2011 auch Inhaber des Lehrstuhls für Neuere und Neueste Geschichte an der LMU, ist dieser Tage ein gefragter Redner. Nicht zuletzt deshalb, weil er aufgrund seiner Forschung besser als andere weiß, wo sich Parallelen mit der Weimarer Republik abzeichnen und welche Warnzeichen und Lektionen aus der Geschichte wir beachten sollten.
Heute wie damals gehe die Gefahr für die Demokratie von den gewählten Repräsentanten und nicht von externen Feinden aus, konstatierte er. Wirsching ist keiner, der sich im akademischen Elfenbeinturm versteckt. Er analysierte sehr konkret, welche Bedrohung von der modernen Ausprägung des Rechtsextremismus ausgeht und stellte in diesem Zusammenhang die Frage: „Was macht das mit dem Parlamentarismus, wenn eine Partei im Bundestag, für die 20 Prozent der Wähler gestimmt haben, Systemopposition betreibt?“ Rechtsextreme, die die Systemfrage stellten, seien „brandgefährlich“.
Statusangst und Identitätsverlust: Treiber der Radikalisierung
Der Professor ging auch darauf ein, welche Ursachen hinter dem Zulauf zu rechtsradikalen Parteien stecken und warum wir eine zunehmende Radikalisierung der Rechten in Deutschland beobachten können.
Zu den Wählern der AFD gehörten längst nicht mehr nur die Globalisierungsgegner oder die sogenannten „Abgehängten“, analysierte er. Stattdessen sei die Partei mittlerweile auch für Teile der bürgerlichen Mitte attraktiv – ein Phänomen, das der Professor unter anderem mit der Statusunsicherheit und dem Verlust traditioneller Gewissheiten erklärte. Denn der moderne Mensch erlebe am eigenen Leib, wie die bisher gültigen kulturellen Identitäten wegbrechen.
Dafür sind seiner Ansicht nach die Auflösung traditioneller Geschlechterrollen, die Deindustrialisierung und die Umbrüche der modernen Arbeitswelt sowie die Verflüssigung nationaler Zugehörigkeiten verantwortlich. Sein Fazit: „Es hat sich sehr, sehr viel geändert in den letzten 50 Jahren!“
Was tun gegen den Rechtsruck?
Last but not least befasste er sich noch mit der brennenden Frage: „Was können wir tun?“ Wirsching unterstrich die Bedeutung der sogenannten Brandmauer: „sie ist notwendig und muß erhalten bleiben“. Er sprach sich ferner dafür aus, ein Verbot der rechtsextremen AFD „ernsthaft“ zu prüfen auch wenn er einräumte, dass für ein solches Verbot hohe Hürden zu überwinden wären. Gleichzeitig warnte er, dass die deutsche Justiz sich ihrer politischen Verantwortung nicht entziehen dürfe. Wachsamkeit allein werde nicht ausreichen, auch wenn es gelte, die Warnzeichen zu erkennen, die schon andere Demokratien in den Ruin getrieben hätten.
Folgende Lektionen halte die Geschichte bereit: Wenn konservative Parteien glaubten, durch Anbiederungsversuche an rechtsextreme Parteien deren Wähler zurückgewinnen zu können oder diese Parteien zähmen zu können, so sei das ein Irrtum. Und auf dem Weg zur Autokratie seien stets bestimmte Muster zu beobachten: etwa die Gleichschaltung und Einschüchterung der Medien und die Aushöhlung der Judikative.
Ein Abend, der nachwirkt: Publikum im Dialog mit dem Experten
Moderiert wurde der Abend von Kolibri-Mitarbeiterin Yvonne Esterházy, die im Anschluß die Themen des Vortrags noch mit einigen Fragen zu vertiefen wusste und danach die Diskussion mit dem Publikum leitete. Nach dem Ende des offiziellen Teils klang der Abend dann für viele Gäste noch bei einem Glas Wein aus und es wurde angeregt weiter diskutiert.
Dass der prominente Redner noch lange blieb und sich Zeit für Gespräche mit dem Publikum nahm, war ein unerwarteter Bonus. Das Feedback zu dieser Benefizveranstaltung war begeistert – es war ein Abend der zum Nachdenken anregte. Einige Besucher berichteten, sie hätten am nächsten Tag beim Frühstück noch weiter über verschieden Aspekte des Vortrags debattiert.
Fotos: ©Ingrid Scheffler