Ein Buch über Exil – Schicksale hinter der Vertreibung
Schon zum zweiten Mal unterstützte Prof. Dr. Wolfgang Benz Kolibri mit einer Benefizveranstaltung. Im Gemeindesaal der Erlöserkirche in Schwabing stellte er am 2. Juni 2025 mit einer Lesung und Gespräch mit der Historikerin Jutta Neupert sein neues Buch „Exil“ Geschichte einer Vertreibung 1933 – 1945 vor. Diese Vertreibung betraf Hunderttausende in verschiedenen Etappen, aus verschiedenen Motiven, an verschiedenen Orten mit verschiedenen Erfahrungen.
Aufgrund seiner jahrzehntelangen Forschung und seinem umfassenden Wissen über Kontexte ist dieses Buch ein Standardwerk zum Thema Exil geworden. Im Mittelpunkt seiner Darstellung von Einzelschicksalen stehen die Lebens- und Erfahrungswelten gewöhnlicher Menschen, nicht nur die der prominenten, bekannten Schriftsteller*innen, Künstler*innen und Wissenschaftler*innen.
Auf die Frage, warum das Buch mit einem Kapitel zur Emigration im ersten Weltkrieg und der Weimarer Republik beginnt, erläuterte Benz, dass sich bereits im Kaiserreich die Kritiker des preußischen Militarismus und Obrigkeitsstaats zur Flucht gezwungen sahen, vor allem in die Schweiz. Allerdings war zu der Zeit noch eine Rückkehr möglich und diese Situation änderte sich schlagartig nach der Machtübernehme 1933.
Orte des Exils und beispielhafte Fluchtgeschichten
Aus der Vielzahl der im Buch behandelten Themen wählte Jutta Neupert aus dem Kapitel Orte des Exils die in diesem Zusammenhang nicht so geläufige Stadt Shanghai aus. Shanghai wurde von Flüchtlingen als letzte Wahl betrachtet, meistens irrtümlicherweise nur als Zwischenstopp, weil man bis 1941 kein Visum benötigte. Die Kenntnisse über das ferne China waren sehr gering und die Informationen des Komitees zur Unterstützung der europäischen Flüchtlinge über die Regeln des Alltags mehr als willkommen. Die etwa 20 000 Flüchtlinge aus Europa lebten in einer Art Ghetto je nach Herkunft im Stadtteil Hongkew zusammen und entwickelten eine erstaunliche kulturelle Szene.
Die abweisende Haltung der möglichen Exilländer betraf auch die in einem gesonderten Kapitel behandelten Kindertransporte. Wie Benz herausstellte waren die Kindertransporte nach Großbritannien eine positive Ausnahme, auch wenn die Erfahrungen von Entwurzelung, Fremdheit, die enttäuschte Hoffnung auf Wiedersehen mit den Eltern die Kinder für den Rest ihres Lebens traumatisierte.
Mit konzentrierter Aufmerksamkeit folgten die Besucher*innen der detailreichen Lesung von Benz über die Odyssee von Dr. Heller und seiner Frau aus München, die von 1939 an unter schlimmsten Entbehrungen und Zwangsaufenthalten an verschiedenen Orten (Bratislava, Haifa, vier Jahren und sieben Monate Mauritius) nach sechs Jahren erneut endgültig in Haifa bei ihrer Tochter ankommen und bleiben durften. Die Willkür und Unmenschlichkeit, mit der jüdische Flüchtlinge behandelt wurden, sind durch einen Bericht von Dr. Heller dokumentiert, den er in Mauritius verfasste.
Das Exil als Mahnung für die Gegenwart
Benz beendet sein Buch mit einem ausdrücklichen Plädoyer gegen die Politik der Abschottung in der momentanen Migrationspolitik und der Erinnerung daran, „dass auch Deutsche auf der Flucht waren, im 19. Jahrhundert vor wirtschaftlichem Elend, im 20. vor politischer und rassistischer Verfolgung“ und dass dies der Gesellschaft in Deutschland helfen könnte, die Situation Ankommender zu verstehen.
In der angenehmen Atmosphäre des Gemeindesaals konnten viele Besucher*innen anschließend bei einem Glas Wasser oder Wein noch Fragen an Prof. Benz stellen, für die der Abend bei weitem nicht ausreichte.
Text: Eva Nies
Fotos: ©Wolfgang Sreter