Grußwort von Konstantin Wecker zur Eröffnungsfeier von „Nie wieder Krieg“

Konstantin Wecker, Liedermacher, Komponist, BuchautorZur Eröffnung der Kolibri-Veranstaltung „Never again, Mohnblumen gegen den Krieg und für den Frieden“ auf dem Königsplatz in München schickte Konstantin Wecker diesen Brief, da er selber nicht kommen konnte:

Liebe Freunde, ich kann leider heute nicht persönlich bei Euch sein, sende Euch aber herzliche Grüße. Nie wieder Krieg 2018 heißt für mich, wieder einmal am Grab meines Freundes Willy über vieles nachzudenken, und  ein paar Textpassagen daraus möchte ich Euch gerne mitgeben:

Du werst as ned glaubn, du konnst as ned glaubn Willy – heit drucka
die neuen Nazis ins Parlament und erklären die unmenschlichste
Epoche der Menschheitsgeschichte zu einem Vogelschiss in Anbetracht
der 1000jährigen erfolgreichen Geschichte des deutschen Volkes. 

1000 Jahre deutsche Geschichte? Da sind dem Herrn Gauland wohl die
Wahnvorstellungen seines Führers dazwischengekommen.

Ja, es gab dann einen Aufschrei hier und da – aber der is ja eh
kalkuliert von denen, dann gibst eine halbherzige Entschuldigung und
es war ja „alles nicht so gemeint“ und das wars dann – denn die
potentiellen Faschisten des Landes sind ja erreicht worden mit
dieser kalkulierten Ungeheuerlichkeit.

 Was is passiert Willy? Wia hat des jemals soweit komma kenna?

Neoliberalismus heißt dieses Monster, das es geschafft hat uns
einzureden, dass wir all das aus freiem Willen tun, was das Monster
mästet, was dieser Hydra immer wieder neue Köpfe wachsen lässt und
damit einen kleinen Prozentsatz der Menschheit immer reicher und
gieriger macht und alle anderen in tiefste Verunsicherung,
Verarmung, Verzweiflung stürzt.

Alle zwei Sekunden wird ein Mensch auf dieser unserer Erde zur
Flucht gezwungen.

Einer von 110 Menschen weltweit ist von Flucht und Vertreibung
betroffen.

Und neun von zehn Flüchtlingen leben in Entwicklungsländern.

Und vor was fliehen die denn wohl?

Du woaßt as Willy: vor unsere Waffen, vor unseren
Finanzspekulationen, vor unserer Ausbeutung der Erde auf der sie leben!

„Wenn man sich die europäische Geschichte ansieht“, schreibt der von
mir geschätzte Philosoph Jürgen Wertheimer, „wirkt es weit eher so,
als seien wir die Erfinder eines Perpetuum mobile der Kriege, die
wir seit Jahrtausenden in allen Variationen durchdeklinierten.

Und in die Welt hinaustrugen.

Die europäische Kolonisation erfasste die gesamte Welt und stellt
eine einzige „Grenzüberschreitung“ der Außengrenzen anderer Länder dar.

Und jetzt rufen ausgerechnet wir nach strikter Wahrung und Sicherung
unserer Außengrenzen – nachdem wir über Jahrhunderte das Gefüge der
Welt aus dem Lot gebracht haben… Bei all dem berufen wir uns
gebetsmühlenartig auf unsere „christlich-abendländischen“ Werte –
die nota bene allesamt orientalischer Herkunft sind. Jedenfalls
wüsste ich nicht, dass die Bibel und das Neue Testament in Tübingen,
Gelsenkirchen oder Straßburg geschrieben wurden.“

Gaulands „Vogelschiss“ ist der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen
bringt, das schon vorher bis zum Rand gefüllt war mit Herzlosigkeit
und Verharmlosung der Nazi-Diktatur. Es wird Zeit, dass wir dafür
sorgen, dass die braune Brühe nicht noch weitere Landstriche
überschwemmt.

Widerstehen wir mit all dem, was uns als menschlichen Wesen gegeben
ist an Mitgefühl und Verstand, Poesie und Zärtlichkeit!

Gelesen hatte den Text bei der Veranstaltung die Textdichterin und Komponistin Michaela Dietl

Rückblick auf die Mohnblumenveranstaltung auf dem Königsplatz