Ein heißer Abend, im wahrsten Sinne des Wortes: für die Interkulturelle Stiftung Kolibri dechiffrierte die Kommunikations- und Medienwissenschaftlerin Heidi Schulze bei der Veranstaltung „Radikalisierung im Netz“ die geheimen Codes und Symbole rechter Extremisten im Internet. Draußen verharrten die Temperaturen an diesem 1. Juli auch zu später Stunde noch in tropisch-hochsommerlichen Regionen – drinnen, in der voll belegten Seidlvilla – lauschten die Zuhörer aufmerksam den Ausführungen der Expertin.
Memes, Comics, Lifestyle-Tipps
Zunächst erläuterte Astrid Brundke, ehrenamtliche Mitarbeiterin von Kolibri, den Anwesenden am Beispiel der Kunstwerkstatt von Refugio, wofür die Eintrittsgelder und Spenden der Benefizveranstaltungen unserer Stiftung verwendet werden. Dann ging es – nach einer Einführung der Moderatorin Yvonne Esterházy, die ebenfalls ehrenamtlich für Kolibri tätig ist – zur Sache: Kenntnisreich erläuterte Heidi Schulze, dass humorvolle Memes und lustige Comic-Figuren wie Pepe the Frog, ebenso wie harmlos erscheinende Tipps für Wellness, Schönheit oder Esoterik für Insider versteckte Botschaften transportieren können, die in Wahrheit rassistische, antisemitische oder menschenfeindliche Botschaften transportieren.
Gerade Jugendliche sind oft die Zielgruppe extremistische Akteure im Netz, weil sich Teenager in einer Phase befinden, in der sie eine neue Identität suchen. Schon Kinder nutzen soziale Medien per Smartphone oft Tag und Nacht und geraten dann unter Umständen unbeabsichtigt an gefährliche Inhalte. Heidi Schulze beschrieb anschaulich – und auch für Menschen, die keine „Digital Natives“ sind, nachvollziehbar – dass die Radikalisierung Jugendlicher häufig Online erfolgt, über verschiedene Kanäle, Plattformen und Soziale Medien. YouTube, TikTok, Instagram, X, Telegram aber auch Gaming-Apps können hier als Einfallstore dienen.
Führen digitale Hassbotschaften immer zu Gewalt?
Am Beispiel der Netflix-Serie „Adolescence“ machte die Medienwissenschaftlerin deutlich, warum es so wichtig ist, sich mit den Kommunikationsmethoden der digitalen Welt und ihren Symbolen auseinanderzusetzen. Nur wer weiß, worum es sich bei der sogenannten Manosphere, eines vorwiegend frauenfeindlichen Netzwerks, handelt, und welche Symbole verwendet werden, um junge Männer als Mitglieder der „Incel-Community“ (zu Deutsch: einer unfreiwillig zölibatären Gemeinschaft) zu identifizieren, wird erkennen, welche Aggressionen auf diese Weise entstehen können. Bedrückend auch das Beispiel der Gruppe „Die letzte Verteidigungswelle“, deren Mitglieder häufig Teenager waren, die sich bundesweit in Chatgruppen und sozialen Medien vernetzten und gewalttätige Aktionen organisierten. Das führt unmittelbar zur Frage: Welcher Zusammenhang besteht zwischen Radikalisierung im Internet und tatsächlicher Ausübung von Gewalt? Expertin Heidi Schulze betonte, wissenschaftliche Untersuchungen hätten ergeben, dass es keinen Automatismus zwischen Hassbotschaften im Netz und der Ausübung von Gewalt in der realen Welt gäbe. Gleichzeitig warnte sie jedoch davor, im Netz geäußerte Drohungen und Aufrufe zur Gewalt zu unterschätzen: vollständig entkoppelt vom Online-Geschehen sei das Verhalten von Tätern in der Wirklichkeit nämlich auch nicht.
Im Anschluss an eine Fragerunde mit reger Diskussion nach dem Vortrag debattierten viele Gäste bei einem Glas Wein auf der Terrasse der Seidlvilla weiter. Heidi Schulze blieb auch nach dem Ende des offiziellen Teils und nahm sich viel Zeit für einen regen informellen Austausch. Wir danken ihr für einen spannenden und informativen Abend!
Text: Yvonne Esterházy
Fotos: © Ingrid Scheffler